Gemeinsamer Einsatz des Münchener Unternehmers Michael A. Binner, seines Bekannten René Siegert und des Arbeiter-Samariter-Bundes Velden ist ein voller Erfolg – Insgesamt 130 Personen aus der Ukraine finden im Raum Frankfurt ein neues temporäres Zuhause  

BAD ABBACH/VELDEN/AUERBACH/MÜNCHEN. Nicht nur reden, sondern anpacken und helfen – so lautete das Motto der privaten Hilfsaktion des Münchener Unternehmers Michael A. Binner und seines Bekannten René Siegert aus Bad Abbach, der in der Landeshauptstadt für die Stadtwerke arbeitet und zudem ehrenamtlich in der Krisenintervention der „Aicher Ambulanz Union (AAU)“ tätig ist. Angesichts des Krieges in der Ukraine und der immer schlimmer werdenden Zustände, entschieden sich die beiden, einem Hilferuf der Stadtverwaltung Kiew zu folgen, welcher Binner Mitte März über sein Netzwerk in der Ukraine erreicht hatte.

Ein 19-köpfiges internationales Helferteam, bestehend aus Rettungssanitätern aus Deutschland, Übersetzern aus Polen und der Ukraine, Busfahrern sowie den Organisatoren Binner und Siegert, führte die Evakuierung der Familien durch. Mit großem Erfolg, denn so erhielten 130 Menschen aus Kiew, darunter 37 Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen und ihre Familien, nahe Frankfurt ein temporäres, aber sicheres Zuhause.

Am Dienstag, 22. März, begann in München gegen 22 Uhr die Fahrt für Siegert und seine Kollegen Tobias Pannwitt (Feuerwehr Markt Indersdorf) und Tanja Flaig (ASB München). Siegert übernahm aufgrund seiner Einsatzerfahrung die Koordination der Helfer und Busse auf der Reise sowie die Einsatzleitung vor Ort.

Zunächst ging es zur Rettungswache des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) nach Velden, die Binner im Vorfeld der Evakuierung angefragt hatte. Die regionale ASB-Organisation hatte sich umgehend bereit erklärt, die Aktion zu unterstützen. Dort wurde sich mit den Kolleginnen und Kollegen Franziska Hollweck, Fabian Rösel, Felix Mayer und Christian Kiefhaber getroffen. Nach einem kurzen Kennenlernen belud das Team die Fahrzeuge mit Hilfsgütern, ehe sich der Konvoi auf den Weg Richtung Lublin (Polen) machte.

Gegen 7 Uhr am nächsten Morgen passierte die Gruppe die deutsch-polnische Grenze bei Görlitz. Die Reise führte das Team dann weiter über Breslau, Lodz und Warschau, bevor es um 17 Uhr in Lublin ankam. Parallel starteten am Nachmittag die Familien ihre Flucht aus Kiew. Dort wurden sie durch den Samariter-Bund Kiew durch die von Bomben und Raketen bereits teilweise zerstörte Stadt zu einem Zug mit vier eigenes von der Stadtverwaltung für die Evakuierung bereitgestellte Eisenbahnwagone gebracht, der die Familien und hunderte weitere Menschen aus der belagerten Stadt bringen sollte.

Im Laufe des Abends des gleichen Tages trafen auch die vier Reisebusse nahe der ukrainischen Grenze ein, die eigens für diese Aktion samt Fahrer und Benzin gestiftet, bzw. durch Spenden, finanziert wurden.  Drei weitere Helfer aus Polen und der Ukraine sowie Binner trafen ebenfalls im Hotel ein. Das gesamte Team bezog seine Zimmer, nach dem gemeinsamen Abendessen wurde die Vorgehensweise für die Aktion im Team besprochen. Der Zug aus Kiew wurde für den Folgetag am Bahnhof in Chelm, nahe der ukrainisch-polnischen Grenze, erwartet.

Am Tag der Abholung der Familien fuhr der Transporter für eine erste Lageerkundung mit Einsatzleiter Siegert, Abschnittsleiter Mayer und Binner nach Chelm. Aufgrund der unklaren Situation und Strukturen vor Ort stießen die vier Reisebusse und der Rettungswagen erst später hinzu.

Durch die enge Zusammenarbeit mit freiwilligen Helfern am Bahnhof in Chelm war die Abholung der Familien aus Kiew durch das Team bereits bestens vorbereitet. Eine Abteilung der polnischen Feuerwehr stand zur Unterstützung beim Aussteigen für die Kinder im Rollstuhl bereit. Ebenfalls traf das Team dort auf deutsche Kollegen von der Jörg Steiger-Stiftung, der Feuerwehr Sindelfingen (der Partnerstadt von Chelm), dem Veritas Rettungsdienst aus Kelsterbach sowie auf Mitarbeiter des Weißen Kreuzes aus Frankreich, die sich um die medizinische Versorgung auf der Durchreise der Flüchtenden kümmern. Die aus Deutschland vom Team mitgebrachten Hilfsgüter fanden dort sofort Verwendung.

Die für 11 Uhr geplante Ankunftszeit des Zuges aus Kiew verzögerte sich jedoch Stunde um Stunde. „Die Zeit nutzten wir, um neben dem Bestücken der vier Busse mit Snacks, Getränken, Babynahrung, Windeln etc., eine Triage anhand der Flüchtlingsliste vorzubereiten. Wir klassifizierten die Busse in die vier Kategorien „Weiß“, „Grün“, „Gelb“ und „Rot“, erinnert sich Siegert.

In dem „weißen“ Bus kamen alle Personen die körperlich ohne Einschränkungen waren. In den „grünen“ Personen, die medizinisch unkritisch und bedingt mobil waren (mit leichter Unterstützung), in den „gelben“ Menschen, die bedingt mobil waren (mit Geh- oder Tragehilfe), und in den „roten“ diejenigen, die potenziell medizinisch relevant waren und nicht mobil waren (teils nur liegend, Rollstuhlgebunden, stark beeinträchtigt). Zudem wurde festgelegt, dass der „weiße“ Bus als „Express-Bus“ fungieren und sofort Richtung Deutschland starten sollte, sobald dieser vollbesetzt war.

Dennoch lief nicht alles nach Plan, denn gegen 14 Uhr erhielten die Helferinnen und Helfer die Hiobsbotschaft, dass der Zug an der ukrainisch-polnischen Grenze gestoppt worden sei. Der Grund: An einer Messstelle für radioaktive Strahlung schlugen die Sensoren an. Wenig später wurde dann aber Entwarnung gegeben und der Zug konnte die wenigen Kilometer nach Chelm hinter sich bringen.

Am Nachmittag traf der Zug nach der nächtlichen Reise durch das Krisengebiet dann endlich in Chelm ein. In den vier letzten Waggons waren die flüchtenden Mütter mit ihren teilweise geistig und körperlich behinderten Kindern untergebracht, die nach ihrer Registrierung durch die polnischen Behörden in der von der bayerischen Hilfsaktion extra eingerichteten Sammelstelle in Empfang genommen wurden. Die Frauen und Kinder wurden sofort mit Getränken, Essen, Süßigkeiten und gespendeten Kuscheltieren von Pädcare e. V. versorgt.

Gut zweieinhalb Stunden später startete schließlich der erste Bus Richtung Deutschland, die anderen drei machten sich mit dem Transporter und dem Rettungswagen gegen 18 Uhr auf den Weg. In den Bussen waren zudem je ein Dolmetscher sowie ein Rettungssanitäter mit an Bord. „Ein Kind mit schwerster Behinderung konnte nur liegend unter medizinischer Überwachung transportiert werden, weshalb wir das Mädchen im Rettungswagen fuhren“, erzählt Siegert. Im Konvoi ging es in die Nähe von Frankfurt, wo die Familien nach weiteren ca. 19 Stunden Fahrt und ohne Zwischenfälle erschöpft ihre Reise beendeten.

„Die Evakuierung der Kinder und ihrer Familien war nur möglich, weil sich schnell Helfer und Unterstützer gefunden haben, die mit anpacken, und die Menschen rausholen wollten“, erzählt Binner. Besonderer Dank gilt dabei neben den Freiwilligen des Helferteams der HR Group, die vorübergehend ein komplettes Hotel zur Unterbringungen bereitstellte, sowie dem Bürgermeister und Mitarbeitern der Verwaltung einer Kleinstadt nahe Frankfurt, die die Familien aufgenommen hat und sich rührend um jeden einzelnen der Gruppe kümmern. Binner lobte den Einsatzablauf und das Engagement der Helferinnen und Helfer sowie die Unterstützung durch die Sponsoren, die die Aktion finanziell und durch ihr Netzwerk unterstützt haben.

Die gesamte Aktion wurde innerhalb nur weniger Tagen auf die Beine gestellt und zeigt, dass privates Engagement einen echten Unterschied machen kann. Der nächste Schritt ist nun, in den nächsten Wochen eine den besonderen Ansprüchen der Kinder genügende Unterbringung und Betreuungsplätze für sie zu finden. Auch bei diesem Schritt wird wieder private Initiative gefragt sein und hoffentlich Hand in Hand mit den staatlichen Akteuren zu einer guten Lösung für die Kinder führen.