Dr. Alexander Herzner im Interview: „Die letzten Jahre im Krisenmodus verwischen die Sicht auf die drängenden Fragen der Zukunft“ – Klimaberichterstattung wird für Unternehmen zur Pflicht
Neustadt/WN-Weiden. Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes hat die Bundesregierung die Klimaschutzvorgaben verschärft und das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert. Bereits bis 2030 ist vorgesehen, dass die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Daher soll ab 2023 eine einschneidende Richtlinie in Kraft treten, die erstmals eine konkrete Klimaberichterstattung mittelständischer und großer Unternehmen verlangt und so eine neue Transparenz im Klimaschutz ermöglicht.
Dr. Alexander Herzner, der in unserem Interview auf dieses Thema eingeht, promovierte zu Corporate Social Responsibility (kurz: CSR) und strategischen Nachhaltigkeitsmanagement in Hamburg und Innsbruck. Er studierte Business Administration an der Universität Bamberg und wirkte in Projekten in Wissenschaft und Praxis mit. Seit 2011 ist er als Lehrbeauftragter für Controlling, Nachhaltigkeit und CSR, Entrepreneurship oder Innovationsmanagement an deutschen Hochschulen tätig.
Weiterhin implementiert er am Institut für Nachhaltigkeit in Technik und Wirtschaft im Auftrag der Hochschulleitung Nachhaltigkeit an der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Amberg-Weiden. Zudem unterstützt er mit seinem Unternehmen, der UBB GmbH in Neustadt/WN (mehr: http://visionpluschange.com/), Firmen auf dem Weg zu einer werteorientierten Organisation und auch bei der Erstellung von Klimabilanzen und Nachhaltigkeitsstrateigen und -berichte.
Herr Dr. Herzner! Beschreiben Sie doch bitte rückblickend kurz den Prozess, der zur verpflichtenden Klimaberichterstattung für Unternehmen führte.
Dr. Herzner: Im April 2021 legte die EU-Kommission einen Entwurf zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vor, der die Berichtspflicht von 2014 zur Nonfinancial Reporting Directive (NFRD) ergänzt. Die NFRD beinhaltete lediglich Vorschriften über die Offenlegung von nicht finanziellen Informationen und Angaben zur Diversität. Mit Ergänzungen durch neue Richtlinien und Verordnungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und Sustainable Finance werden Unternehmen ab 2023 nun vor ganz neue Herausforderungen gestellt.
Wer genau wird davon betroffen sein?
Dr. Herzner: Die neue CSRD-Beitragspflicht betrifft sämtliche Firmen mit mindestens 250 Mitarbeitern, allein in Deutschland sind das Tausende. Wie sie ihre Nachhaltigkeitsleistung bis hin zu den Emissionen künftig messen, das ist ihnen selbst überlassen – es gibt ja über 250 Standards und Initiativen. Doch feststeht: Ab dann müssen sie in ihren Jahresabschlüssen sogenannte ESG-Informationen über Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung veröffentlichen. Das heißt, dass sie Auskunft darüber geben müssen, in welchem Maß sie nachhaltig sind. Dazu wird an einem einheitlichen Standard gearbeitet.
Ist für Sie die Änderung des Klimaschutzgesetzes und die damit einhergehende Auswirkung auf Firmen eine richtige Entscheidung?
Dr. Herzner: Ja – denn trotz inflationärem Gebrauch und oftmals zu leerer Worthülse verkommen, ist nachhaltige Entwicklung als gesellschaftliche globale Aufgabe dringender denn je. Die letzten Jahre im Krisenmodus verwischen die Sicht auf die drängenden Fragen der Zukunft, um die nächsten sich anbahnenden Krisen zu verhindern. Der Umgang mit Digitalisierung und Demographie ist nur die Spitze des Eisbergs, der aufgrund der bereits angefangenen Klimakrise zunehmend schmilzt.
Wie beurteilen Sie denn die Rolle der betroffenen Unternehmen?
Dr. Herzner: Ihre Rolle ist in dem Prozess keine Geringe. Immer mehr müssen Unternehmen als nachhaltig wahrgenommen werden und ihre Ergebnisse glaubhaft darlegen. Halbherziges Engagement reicht nicht mehr aus. Obwohl die Transformation von der sozialen Marktwirtschaft zur nachhaltigen Marktwirtschaft seit mehreren Jahrzehnten schleichend startete und Nachhaltigkeit als politisches Leitprinzip ausgerufen wurde, bleibt bei der Wirksamkeit ein Fragezeichen. Hier startet auch der Gedanke der ‚Business Excellence‘, bei den Spitzenleistungen schon immer über den reinen Input und Output fixierten Managementansatz hinausging, sondern die erzielten Ergebnisse als Wirkung dargelegt werden musste.
Um was genau handelt es sich bei der von Ihnen erwähnten ‚Business Excellence‘?
Dr. Herzner: Hier handelt es sich um den Grundsatz des seit 1997 vergebenen Ludwig-Erhard-Preises (LEP), der an Organisationen und Unternehmen überreicht wird, die sich auf Basis eines intensiven Bewertungsprozesses durch ein ganzheitliches Managementsystem und den nachhaltigen Erfolg ihrer Geschäftstätigkeit auszeichnen. Nun geht die ‚Initiative Ludwig-Erhard-Preis ILEP‘ sogar noch einen Schritt weiter und bietet mit SAM – dem Sustainable Assessment Modell – einen Ansatz, der die gesamtgesellschaftliche Auswirkung betrachtet.
Aber sind Ökologie sowie soziale Erwartungen und Ökonomie nicht ein Widerspruch?
Dr. Herzner: Nein – denn der einstige Widerspruch zwischen Ökologie, sozialen Erwartungen und Ökonomie gehört schon länger der Vergangenheit an. Nachhaltige Entwicklung ist der Treiber der Zeit, so wie es einst Ludwig Erhard für die soziale Marktwirtschaft war. Und tatsächlich, immer mehr Unternehmen begreifen diesen Wandel als Chance und stellen den gesellschaftlichen Zweck in den Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns. Der Erfolg gibt ihnen dann recht. Allein die Vielzahl an Begriffen wie Circular Economy, Blue oder Green Economy, Öko-soziale Marktwirtschaft, Gemeinwohl-Ökonomie – um nur einige zu nennen, zeigt, dass die Transformation begonnen hat und worin zukünftige Erfolgsmodelle liegen.